Der Konzernleiter auf Zustelltour – wie die Mitarbeitenden auch bei Wind und Wetter.

«Wir wollen die Grund­ver­sorgung der Schweiz weiter eigen­wirt­schaftlich erbringen.»

Seit April 2019 ist Roberto Cirillo Konzern­leiter der Schweizerischen Post. Nach einer intensiven Ein­arbeitungs­phase stehe die Strategie­entwicklung an. Was sind die Heraus­forderungen? Und wo kann die Reise hingehen? 

Im April haben Sie die Konzernleitung übernommen. Vielleicht vorab die Frage, wie empfanden Sie Ihren Start?

Für mich war wichtig, schnell ein Bild von den vielen Facetten der Post und den unterschiedlichen Geschäftsfeldern zu erhalten. Entsprechend habe ich mir Abläufe vor Ort erklären lassen, habe mit Hand angelegt und mich mit vielen Mitarbeitenden aller Stufen ausgetauscht. Die Vielschichtigkeit des Konzerns hat mich überrascht. Aber ich muss sagen, dass wir aus gutem Grund zum dritten Mal in Folge vom Weltpostverein zur besten Post der Welt gekürt wurden.

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Roberto Cirillo macht sich ein Bild von der Post.

Bedeutet diese Auszeichnung, dass die Post auch wirtschaftlich erfolgreicher ist als andere Postgesellschaften? Wie lässt sich das vergangene Geschäftsjahr der Post zusammenfassen?

Wir gehören sicherlich auch zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Postunternehmen. Die Auszeichnung beinhaltet aber viele Kriterien. Zum Geschäftsjahr 2019 der Schweizerischen Post müssen wir feststellen, dass sich die Post in einer herausfordernden Situation befindet. Die Rahmenbedingungen für einen wirtschaftlichen Erfolg haben sich stark verschlechtert. In der Folge ist unser Ergebnis 2019 erneut tiefer ausgefallen als im Vorjahr.

Welche Rahmenbedingungen sind das?

Das sind primär die Rückgänge der Briefmengen bei PostMail und die Niedrigzinsen bei PostFinance. Den Trend der sinkenden Briefmengen werden wir nicht drehen können. Aber durch intensive Anstrengungen ist das Ergebnis nicht im gleichen Masse zurückgegangen, wie sich die Rahmenbedingungen verschlechtert haben.

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Was gehört in welche Kiste? Auch in der Box ist die Ordnung entscheidend.

Was ist also zu tun?

Zunächst eine fundierte Analyse. Dazu haben wir eine Gesamtschau Post gemacht. Wir haben alle Bereiche, die Märkte, in denen sie tätig sind, und das Zusammenspiel zwischen den Bereichen beleuchtet. So konnten wir die wichtigsten Herausforderungen für die Post identifizieren, die die neue Strategie für die zukünftige Ausrichtung der Post adressieren muss.

Welche Herausforderungen sind das und wie sieht die Strategie aus?

Die Strategie werden wir im Frühjahr 2020 dem Eigner vorstellen und erst danach der Öffentlichkeit. Die Herausforderungen aber sind klar: Es sind im Wesentlichen zwei. Zum einen die Digitalisierung. Durch sie entstehen neue Möglichkeiten, aber auch veränderte Gewohnheiten in der Gesellschaft, auf die wir eingehen müssen. Als Post garantieren wir den sicheren, zuverlässigen und vertraulichen Transport von Informationen. In 15 Jahren wird dieser Transport vor allem digital stattfinden. Als Kommunikationsunternehmen passen wir unsere Dienstleistungen für unsere Kundinnen und Kunden entsprechend an.

Die Post garantiert den sicheren und zuverlässigen Transport von Informationen.

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Eine Treppe ist kein Hindernis, um unsere Kundinnen und Kunden täglich zu erreichen.

Und die andere?

Das sind die Veränderungen in der Logistik. Wir sind das Logistikrückgrat der Schweiz. Durch Digital Commerce und insbesondere den Onlinehandel auf mobilen Geräten steigen die Anforderungen und Erwartungen der Kundinnen und Kunden enorm. Sie erwarten eine schnelle Lieferung. Gerade bei Impulskäufen am liebsten noch am gleichen Tag. Wenn wir die Chancen der Digitalisierung und Logistik richtig nutzen, leisten wir einen gewaltigen Beitrag für die Schweizer Volkswirtschaft.

Wie begegnen Sie den Herausforderungen in der Logistik?

Wir müssen Kapazitäten schaffen, um die steigenden Paketmengen bearbeiten zu können. Dazu haben wir regionale Verteilzentren im Tessin, in Graubünden und im Wallis geschaffen. Sie werden die Basis für neue Dienstleistungen sein, um flächendeckend Lieferungen am selben Tag anbieten zu können. Allerdings gibt es hier noch eine Herausforderung, die etwas komplexer ist. Das ist die letzte Meile. Gerade in den Städten braucht es noch eine stärkere Verästelung des Netzes. Es braucht dort logistische Plattformen. Und vielleicht sind es auf der letzten Meile dann Fahrradkuriere, die Pakete und Waren ausliefern.

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Der Konzernleiter ist begeistert vom Herzblut seiner Mitarbeitenden.

Sind die Herausforderungen der Logistik mit einer stärkeren Verästelung des Netzes gelöst?

Nein. Wir müssen ausserdem eine Logistik ins Ausland aufbauen. Und auch vom Ausland in die Schweiz. Für den Handel mit China haben wir für die Schweizer KMU das «Gateway to China» aufgebaut. Der globale Handel beschränkt sich natürlich nicht auf eine Schweiz-China-Achse. Entsprechend müssen wir auch «Gateways» zu anderen Ländern und Regionen schaffen, damit die Schweiz ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit auch in Zukunft sicherstellen kann.

Wie sieht es mit dem rückläufigen Volumen bei den Briefen aus? Wird es bald keine Briefe mehr geben?

Briefe werden sicherlich nicht gänzlich verschwinden. Der Informationsaustausch wird in Zukunft immer mehr digital sein. Entsprechend wird das Volumen signifikant kleiner. Und es ist eine logische Folge, dass wir unsere Dienstleistungen den veränderten Bedürfnissen und unsere Arbeitsabläufe den reduzierten Volumen anpassen müssen. Wir betrachten auch hier das Gesamtsystem der Post.

Wird es eine Preiserhöhung geben?

In den letzten 15 Jahren hat sich der Preis für den Transport von Briefen nicht um einen einzigen Rappen erhöht. Das ist eine sehr lange Zeit und wir werden eine Preiserhöhung sicher thematisieren müssen. Aber dazu braucht es einen konstruktiven Dialog. Für die Post geht es um mehr: Wir brauchen als Unternehmen Flexibilität und unternehmerische Freiheit.

Wo gibt es weitere Opportunitäten für die Post?

Wir haben mit unserem Zustellpersonal und dem Filialnetz eine besondere Nähe zu den Menschen. Und insbesondere das Filialnetz könnte mit Dienstleistungen belebt und stabilisiert werden. Die meisten Dienstleistungsfirmen konzentrieren sich auf das Onlinegeschäft. Es gibt aber Personen, die den menschlichen Kontakt wollen und suchen. Alles nur online anzubieten, diskriminiert die Menschen, die nicht online sein können oder wollen. Wir haben mit unseren Mitarbeitenden in den Filialen die Fähigkeit, hier Mehrwert zu schaffen und Bedürfnissen zu begegnen.

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geniessen sehr hohes Vertrauen.

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Die minutiöse Organisation der Briefsortierung beeindruckt.

Welche Dienstleistungen könnten das sein?

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sehr kompetent und kennen unser Dienstleistungsangebot bestens. Sie haben eine sehr gute Ausbildung. Zudem geniessen sie sehr hohes Vertrauen. Tests in der West- und Zentralschweiz am Beispiel von Krankenkassen haben gezeigt, dass unsere Mitarbeitenden in der Lage sind, auch im Bereich der Vermittlung und Erklärung von Versicherungen Dienstleistungen zu erbringen, und dies den Kundinnen und Kunden Mehrwert bringt.

Ein anderes Thema ist PostFinance. Wie sieht es mit dem Hypothekarverbot aus?

PostFinance kann das Potenzial einer Bank nicht voll nutzen. Durch das Verbot, Kredite und Hypotheken zu vergeben, ist sie eigentlich nur eine halbe Bank. Dieses Modell hat im jetzigen Negativzinsumfeld keine Zukunft. Das Modell muss also weiterentwickelt werden. Ich bin überzeugt, dass die Entscheidungsträger sehr klar erkennen, wie wichtig dieser Schritt ist. Aber auch mit einer Aufhebung des Verbotes ist klar, dass die Post von PostFinance nicht mehr Dividenden in derselben Höhe erhalten wird wie in der Vergangenheit.

Wäre eine Teilprivatisierung für Sie ein gangbarer Weg, um das Hypothekar- und Kreditverbot aufzuheben?

Entscheidend ist nicht die Frage, wem PostFinance gehört, sondern wie wir PostFinance auf einen stabilen und nachhaltigen Kurs bringen. Das ist für die Post als Ganzes wichtig, da wir die Grundversorgung auch in Zukunft selbst bezahlen wollen. Was auch immer passieren wird, wir werden die notwendigen Massnahmen ergreifen, um die Stabilität von PostFinance zu gewährleisten.

Wie sieht es bei der Post mit der Klimapolitik aus?

Uns ist bewusst, dass wir hier eine Vorbildfunktion haben. Als grösster Logistikkonzern der Schweiz verfügen wir auch über die grösste Fahrzeugflotte. Wir sind weltweit das einzige Postunternehmen, das 2 Milliarden Briefe fast vollständig mit elektrischen Fahrzeugen zustellt. Wir setzen dafür 6000 elektrisch angetriebene Dreiräder ein und betreiben diese mit Ökostrom. Die gesamte Zustellflotte besteht aus 11 000 Fahrzeugen. Ziel ist es, diese Flotte bis 2030 vollständig fossilfrei zu betreiben.

Uns ist bewusst, dass wir eine Vorbildfunktion haben.

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Ein weiter Blick in die Zukunft ist gefragt: für eine relevante und nachhaltige Post.

Zum Schluss noch eine Frage zur Diversität. Können 56 000 sehr unterschiedliche Mitarbeitende ein einheitliches Bild der Post vermitteln?

Mit rund 56 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben wir natürlich eine bunte Vielfalt auf allen Ebenen innerhalb der Post. Und das ist gut so. Das brauchen wir. Mitarbeitende mit unterschiedlichen Sprachen und unterschiedlichen Lebenskonzepten. Unsere Kundinnen und Kunden sind ja auch nicht alle gleich. Entsprechend müssen wir die Vielfalt unserer Mitarbeitenden nutzen, um die unserer Kundinnen und Kunden besser verstehen und bedienen zu können.