Im Gespräch mit Christian Levrat und Roberto Cirillo
«Es geht um den vertrauenswürdigen Transport von Waren und Informationen»
Mit dem Jahresende 2022 ist auch die Mitte der aktuellen Strategieperiode erreicht. Wo wir stehen und welche Schritte wir auf dem Weg zur Zielerreichung noch vor uns haben, erklären der Verwaltungsratspräsident Christian Levrat und der Konzernleiter Roberto Cirillo in einem Doppelinterview.
Herr Levrat, die Strategie «Post von morgen» startete vor zwei Jahren. Zwei weitere Jahre dauert die aktuelle Strategieperiode. Wo steht die Post und wie geht es weiter?
Christian Levrat: Die Post wird sich im Einklang mit der für den Zeitraum 2021–2024 festgelegten Strategie weiterentwickeln. Die wichtigsten Optionen wurden festgelegt, und die Herausforderungen sind bekannt: Reaktion auf die zunehmende Digitalisierung unserer Dienstleistungen, Ausbau unserer Kapazitäten zur Unterstützung der Bedürfnisse unserer Kundschaft, Beschleunigung des Wandels in Richtung Nachhaltigkeit. Wir werden wahrscheinlich eine schnellere Umsetzung der gewählten Optionen und sporadische Anpassungen erleben, aber die Grundpfeiler unserer Strategie werden auch in Zukunft dieselben bleiben.
Herr Cirillo, sind Sie mit der Strategieumsetzung im Zeitplan?
Roberto Cirillo: Die Umsetzung unserer Strategie ist in vollem Gange und grundsätzlich sind wir auf Kurs. Mit der Zusammenlegung des Paket- und des Briefbereichs, dem Bau regionaler Verteilzentren und mit neuen Ansätzen der Belieferung im städtischen Bereich gestalten wir unsere Logistik nicht nur effizienter, sondern vor allem umweltfreundlicher. 2030 werden wir im eigenen Betrieb klimaneutral sein. Durch die Übernahmen von Güterlogistik-Firmen in der Schweiz und im benachbarten Ausland sowie die Übernahme der Cross-Border-E-Commerce-Plattform eShopWorld durch Asendia stärken wir die Schweizer Infrastruktur im internationalen Warenverkehr. Die im Outsourcing-Geschäft agierende Tochter SPS wurde erfolgreich verkauft, was uns erlaubt, die Investitionen in unsere Kernmärkte Logistik und (digitale) Kommunikation zu fokussieren. Mit unseren Investitionen in digitale Dienstleistungen stellen wir sicher, dass wir die zukünftige Grundversorgung ohne Unterstützung von Steuergeldern entwickeln können. PostAuto richtet sich mit ihren Fahrzeugen klimafreundlich aus und bietet den Kantonen Hand bei neuen Mobilitätskonzepten, zum Beispiel dem Bus auf Abruf. Und nicht zuletzt konnte die Post auch während der Turbulenzen der letzten Jahre ihre finanziell gesunde Lage erhalten. Wir sind also auf Kurs. Allerdings hapert es hier und da noch an der Geschwindigkeit der Umsetzung.
Die Möglichkeit, sensible Daten auch in der digitalen Welt vertraulich und über einen Schweizer Anbieter zu übermitteln, wird durch die Post mehr und mehr Realität.
Bei der Post wird vermehrt über Nachhaltigkeit gesprochen. Welche Bedeutung hat Nachhaltigkeit für die Post?
Christian Levrat: Die Post hat ihre Nachhaltigkeitsziele vor Kurzem drastisch beschleunigt. Neu wollen wir bis 2025 in grossen Städten wie Bern, Zürich, Basel oder Genf die Pakete mit Elektrofahrzeugen zustellen. Bis 2030 soll die gesamte Post-Infrastruktur klimaneutral sein (Scope 1 und 2). Wir verabschieden uns völlig von den fossilen Energien, was bei der grössten Fahrzeugflotte der Schweiz einen Unterschied macht. Nachhaltigkeit ist bei uns keine Worthülse. Wir wollen Vorreiter sein und tragen unsere Verantwortung, auch die Kundschaft verlangt das mittlerweile von uns. Die Wirtschaft gibt uns den Takt vor, nicht primär die Politik oder die Behörden. Grosskunden, die Millionen von Paketen versenden, verlangen, dass wir diese umweltfreundlich zustellen.
Nach wie vor ist die Digitalisierung der grösste Treiber für Veränderungen in der Gesellschaft und im Geschäftsleben. Was bedeutet das für die Post und ihre Kundinnen und Kunden?
Roberto Cirillo: Durch neue Kommunikationsmöglichkeiten, die durch die Digitalisierung entstanden sind, haben sich auch Kundenbedürfnisse verändert. Auf diese müssen wir eingehen und haben dafür den Bereich Kommunikations-Services ins Leben gerufen. Das elektronische Patientendossier, die verschlüsselte «IncaMail», Cybersecurity-Lösungen, digitale KMU-Lösungen und Behördenlösungen sind bereits auf dem Markt. Unsere E-Voting-Lösung wurde Ende 2022 den Kantonen geliefert. Die Möglichkeit, sensible Daten auch in der digitalen Welt vertraulich und über einen Schweizer Anbieter zu übermitteln, wird durch die Post mehr und mehr Realität. Als Post ist es enorm wichtig, kundenzentriert zu sein und bei unseren Planungen die Kundinnen und Kunden miteinzubeziehen.
Nähe und Zusammenhalt sind Schweizer Kernwerte. Wie steht es um die Nähe, wenn die Post alles digitalisiert?
Christian Levrat: Nähe und Zusammenhalt sind auch für die Post zentrale Werte. Damit niemand durch die Digitalisierung ausgegrenzt wird, haben wir die Zahl unserer eigenen Filialen bei rund 800 stabilisiert. Mit deren Öffnung für Drittanbieter (z. B. Assura, Sympany, Migros Bank, Cornèr Bank) schaffen wir mehr und mehr Dienstleistungszentren in Schweizer Gemeinden. Letztendlich werten wir also unsere physischen Kontaktpunkte für unsere Kundinnen und Kunden auf.
Nachhaltigkeit ist bei uns keine Worthülse.
Die Babyboomer gehen in Rente. Es gibt einen Arbeitskräfte- und insbesondere einen Fachkräftemangel. Wie geht die Post damit um?
Roberto Cirillo: Das Personalwesen der Post besetzte letztes Jahr rund 3800 Stellen und bearbeitet jährlich rund 62 000 Bewerbungen – die Lernenden nicht eingerechnet. Wir bearbeiten laufend rund 350 bis 400 offene Stellen. Oft kein einfaches Unterfangen, denn der Fachkräftemangel macht sich auch bei der Post bemerkbar. Der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren spürbar verschärft. Wir erleben ihn mittlerweile nicht nur in Berufsfeldern wie Informatik, Technologie oder Innovation, sondern auch in der Logistik, bei PostNetz und auch bei PostAuto. Konkret muss die Post bis 2026 rund 11 000 bis 12 000 Vollzeitstellen nachbesetzen. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Bis 2026 gehen rund 4000 Mitarbeitende ordentlich in Pension oder sie lassen sich frühzeitig pensionieren. Ungefähr 7500 Stellen werden frei, weil Mitarbeitende die Post freiwillig verlassen. Die Fluktuation bei der Post ist zwar vergleichsweise tief, aber die berufliche Mobilität nimmt generell zu. Umso wichtiger ist es, dass wir nach innen und nach aussen vermitteln können, was die Post als Arbeitgeberin zu bieten hat. Mit über 100 Berufen bieten wir eine aussergewöhnlich grosse Vielfalt an Aufgaben und Entwicklungsmöglichkeiten.
Der Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt hat sich verschärft.
Welche Bedeutung hat die Unternehmenskultur für die Post?
Roberto Cirillo: Eine Strategie kann noch so gut und innovativ sein. Wenn die Kultur in einem Unternehmen nicht dazu passt oder hinderlich ist, dann ist es schwierig oder gar unmöglich, mit dieser Strategie Erfolg zu haben. Aus diesem Grund haben wir bei der Post parallel zur Strategie auch ein Zielbild unserer Kultur entwickelt. Jetzt sind wir daran, diese neue Kultur in der Organisation und in den Teams zu verankern. Ganz konkret wollen wir die Kundenzentrierung stärken, Weitsicht fördern und den Blick aufs grosse Ganze der Post richten. Wir wollen mutiger werden und das eigenverantwortliche und unternehmerische Handeln der Mitarbeitenden stärken. Gut funktionierende Prozesse – eine grosse Stärke der Post – bleiben dabei essenziell. Die Pakete und Briefe müssen zuverlässig zum Termin zugestellt werden. Und auch das Zwischenmenschliche, die soziale und gesellschaftliche Verantwortung, bleibt ein wichtiges Merkmal unserer Kultur.
Mit Blick auf die Unternehmenskultur: Wie wichtig ist das Thema Compliance?
Christian Levrat: Sehr wichtig! Wir wollen Compliance als Chance verstehen, Risiken früh zu erkennen und Schäden zu vermeiden. Wir wollen und müssen aus Fehlern lernen. Dazu ist es aber notwendig, dass Fehler nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern dass man sie anschaut, dass man herausfindet, wieso sie passiert sind und wie man sie in Zukunft vermeiden kann. Hier setzen wir die Messlatte bewusst hoch an. Integrität ist die Voraussetzung für eine gut funktionierende Compliance. Und diese gilt es insbesondere von Führungspersonen im Unternehmen vorzuleben.
2023 feiert der Bund sein 175-jähriges Bestehen. Wenige Monaten nach der Gründung des modernen Bundesstaates wurde die Post ins Leben gerufen. Wie wichtig ist die Geschichte der Post für die Post von heute?
Roberto Cirillo: Im Kern sind wir ja noch das gleiche Unternehmen: Es geht um den vertrauenswürdigen Transport von Waren und Informationen. Im Laufe der Zeit haben sich sowohl die Gesellschaft als auch die Arbeitswelt sowie die Technologien stark verändert. Die Post hat ihre Angebote und Dienstleistungen stets angepasst und neuste Technologien genutzt, um effizienter zu werden und den Alltag der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu erleichtern. Durch unsere Geschichte sind wir ein Teil der Schweizer Identität. Ein zentraler Teil dieser Tradition ist, dass wir ein auf Modernisierung ausgerichtetes Unternehmen sind, das frühzeitig schaut, welchen Beitrag wir morgen für dieses Land leisten können.
Die Post dient keinem Selbstzweck!
Wie sieht es mit dem Service public der Zukunft aus?
Christian Levrat: Der Service public der Zukunft entsteht ja nicht in einem Hinterzimmer bei der Post. Service public stellt sicher, dass die in der Schweiz lebenden Menschen und die hier ansässigen Unternehmen und Organisationen gleiche Leistungen zu gleichen Preisen erhalten. Egal wo sie wohnen oder ihr Geschäft haben. Das bedingt, dass man auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen reagieren muss. Im Ideal sogar Entwicklungen antizipieren, damit der Service public auch im Wandel und bei Neuerungen schnell zur Verfügung steht. Die Post dient keinem Selbstzweck! Wir sind da, um die Schweiz näher zusammenzubringen und die Menschen sowie die Unternehmen mit unseren Dienstleistungen zu unterstützen.
Smart Governance
Die Post betreibt ein Governance-Managementsystem und entwickelt es laufend weiter. Das Vorgabewesen ist ein Teil dieses Systems – und war bisher eher unübersichtlich Die Mitarbeitenden mussten sich im Alltag an vielen, detaillierten Vorgaben orientieren, etwa zu den Themen Sponsoring oder Antikorruption. Auf Stufe Konzern (ohne Konzernbereiche) bestanden fast 1000 Seiten an Vorgaben. Das Projekt «Smart Governance» hat zum Ziel, das Vorgabewesen zu verschlanken und zu vereinfachen. Das Motto: so viele Vorgaben wie nötig, so viel unternehmerische Freiheit wie möglich. Die Mitarbeitenden sollen entlang von Prinzipien handeln, mehr Verantwortung übernehmen und verstärkt Eigeninitiative ergreifen können. In Kraft tritt das neue Vorgabewesen auf Stufe Konzern im Frühjahr 2023, zusammen mit einem neuen IT-Tool für den verbesserten Zugang zum Vorgabewesen. Später werden die Vorgabedokumente der einzelnen Konzernbereiche verschlankt. PostFinance betreibt ein eigenes Governance-Managementsystem.